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Kritiken

Ich setze hier die Kritiken von Herrn Dietmar Kesten ein, der mir erlaubt hat diese auf meiner/unserer Seite zu veröffntlichen. Ich wähle gerade diese Kritiken, weil es die besten sind die ich jemals gelesen habe.

 

DIE REISE DES JUNGEN CHE

VENCEREMOS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 30. OKTOBER 2004.

 

Ernesto (Che) GUEVARA (1928-1967) war Idol einer ganzen Jugend in den 60er Jahren, Revolutionsführer in Bolivien, Guerillero, Held der Revolution in Lateinamerika, revolutionärer Mitstreiter von Fidel CASTRO auf Kuba.Dort war er nach dem Sturz BATISTAs von1959 -1961 Präsident der Nationalbank. GUEVARA zog es nach Bolivien, wo er in einem Feuergefecht zwischen bolivianischenTruppen und Partisanen gefangengenommen und am 8. oder 9. Oktober 1967 erschossen wurde.Das fehlgeschlagene Experiment der Guerilla hinderte aberdie 68er Bewegung nicht daran, Che und die bolivianische Revolution zu verehren und mit dem geistigen Slogan der damaligen Revolutionsführer: „Schafft zwei, drei, viele Vietnam" für Furore zu sorgen.Spätestens mit der Roten Armee Fraktion um BAADER,MEINHOF, MEINS, JASPE und ENSSLIN, die unhistorisch und schematisch ihr Konzept der (Stadt-)Guerilla in die westdeutschen Städte tragen wollten, war diese Bewegungendgültig obsolet geworden.GUEVARA war Revolutionär, sicher ein außergewöhnlichesVorbild. Seine Ideen, sein Name waren Banner des Kampfes gegen die Ungerechtigkeit, gegen Unterdrückung und Ausbeutung.Seine Taten riefen Bewunderung hervor. Che repräsentierte wie vielleicht kein anderer einen internationalistischen Geistin seiner reinsten und selbstlosesten Art.Er war ein Soldat der Revolution ohne sich dabei um sein eigenes Leben zu sorgen.

Die Guerillabewegung in Bolivien war für ihn Teil der revolutionären Befreiungsbewegung in den Ländern Südamerikas. Sein Plan war es, eine Bewegung ohne Sektierertum zu organisieren und im bewaffneten Kampf die Völker Lateinamerikas vom Yankee-Joch zu befreien.Den Internationalismus, für den er stand, fasste er in die Worte:„Die Fahne, unter der man kämpft, sei die geheiligte Sacheder Befreiung der Menschheit. Deshalb ist der Tod im Zeichen von Vietnam, Venezuela, Guatemala, Laos,Guinea, Bolivien... um nur die Schauplätze der jetzigen,bewaffneten Kämpfe zu nennen, gleichermaßen ehrenvoll und wünschenswert für einen Amerikaner,Asiaten, Afrikaner und sogar für einen Europäer.Jeder Tropfen Blut, in dem Land vergossen, unter dessen Fahne man nicht geboren wurde, ist eine Erfahrung, diejeder, der überlebt, machen soll, um sie dann bei dem Befreiungskampf seines Geburtslandes zu verwenden.Und jedes Volk, das sich befreit, ist ein Teil desKampfes für die Freiheit des eigenen Volkes, den man gewonnen hat." (Ernesto Guevara: „BolivianischesTagebuch", München 1968).Der Guerillakampf in Bolivien sollte weltweit zur Schule der Revolution werden.Che war auch als Arzt an diese Sache gebunden.Selbst leidend unter schweren Asthmaanfällen, die zu einem schrecklichen Feind wurden, schloss er vieleKontakte mit den bolivianischen Bauern und lernte soihre Mentalität kennen; denn seit seiner frühesten Jugend wusste er, dass es eine lange und harte Arbeitwerden würde, sie zu überzeugen.

Vermutlich am 7. Oktober 1967 schrieb Che seineletzten Zeilen in das „Bolivianisches Tagebuch".In einer engen Schlucht wurden er und seine Kämpfereingekreist, gefangengenommen und erschossen.Vermutlich war der amerikanische Geheimdienst CIAan dieser Aktion beteiligt gewesen.Seine Erlebnisse während dieser Zeit (November1966- bis zum 8./9. Oktober 1967) hatte er in seinem später so berühmten „Bolivianischen Tagebuch"niedergelegt, zu dem Fidel CASTRO einst dasVorwort schrieb.„Hasta la Victoria Siempre"- immer bis zum Sieg.Ohne diesen Hintergrund ist die „Reise des jungen Che"nicht zu verstehen.

Der wahre Platz im Leben: wo ist er, worin besteht er,wo setzt man sich nieder um ihn zu finden?Ernesto GUEVARA (Geal Garcia BERNAL) und sein Freund Alberto Granada (Rodrigo de la SERNA) wollensich einen Jugendtraum erfüllen. Mit einem altersschwachen Motorrad quer durch Südamerika zu reisen ist ihr Ziel.Sie strotzen vor jugendlichem Übermut und Naivität.Die beiden jungen Männer stürzen sich, als gelte es noch einmal voll zu leben, in das Abenteuer der Entdeckung ihres Kontinents.Und sie sind entschlossen, die Frauenherzen aller Länder zu erobern.Mit ihrer kargen Ausrüstung machen sie sich auf. Ihr Weg führt sie durch die Anden, an Chiles Küste entlang,durch die Atacama Wüste bis nach Peru und demAmazonas. Von dort geht ihr Weg weiter nach Venezuela.Um ihre Reisekasse aufzufrischen, müssen sie ihren Intellekt einsetzen.Sie gehen unbeschwert ihren Träumen nach, träumen sich in rosige Fernen, fantasieren von Krankenhäusern, die sie bauen könnten, oder Menschen, denen sie helfen würden.Doch vielmehr die alltäglichen Erfahrungen sind es, die diese Träume immer wieder in Frage stellen.Als ihr Motorrad endgültig den Geist aufgibt, müssen sie per Anhalter weiterreisen.Auf diese Art kommen sie ihrer Umgebung und den Menschen,die sie treffen, näher.Mehr und mehr ändern sich die Verhältnisse.Sie sind nun auf einmal mit anderen Situationen konfrontiert.Und kommen nun nicht mehr als Bittsteller, sondern ihreHilfe selbst wird benötigt. Sie werden zu Kranken gerufen, nehmen an Schicksalen teil, gewinnen neue Bekannte und Freunde und lernen letztendlich Südamerika von einer ganz anderen Seite kennen, das von Ausgrenzung und Ungerechtigkeit nur so durchzogen ist.So spitzt sich das Denken zu.Aus vielen Einzelepisoden setzt sich ein ganzes Mosaik zusammen.Die Moralität obsiegt. Die eigentliche Odyssee des Ernesto GUEVARA beginnt hier.Er beginnt, sich mit den Armen, den Unterdrückten und Ausgestoßenen zu solidarisieren.Er wird am Ende seiner Reise mehr und mehr nachdenklich.Er stellt die Weichen für sein zukünftiges Leben.Aus Hirngespinsten, verwirrtem Idealismus und Illusionen wird später einer der meist gehassten Männer Boliviens.

„Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird", dichtete Rio REISER.Und so wird aus einer Road-Movie-Romanze eine Geschichte, die sich lyrisch, poetisch und sonettenhaft verdichtet, die sich nicht auf ein politisches Geplänkeleinlässt, sondern voll von Menschlichkeit und tiefen Gefühlen ist.Hier ist Che noch kein Revolutionär. Das wird er erst später.Er lernt das Land kennen, lieben, er lernt hassen und verdammen. Zunächst altmodisch und durchaus konventionell schauter durch das kühle Gemäuer seines Landes. Es sind magische und verzückende Blicke, inspirierende und glückliche, traurige, ernste und strafende. Das Elend des Kontinents.Der Blick darauf erklärt warum Che Guerillero wurde.Die Verhältnisse mögen sich seit damals kaum geändert haben. Das Land ist karg, arm, von Modernisierung und Globalisierung gezeichnet, es liegt brach, sozial danieder.Es wird von einer Oligarchie beherrscht, deren einzigesZiel darin besteht, die schreienden Verhältnisse zu sanktionieren.So betrachtet, führt uns Walter SALLES („Central Station",1997/8, „Hinter der Sonne", 2001) als Regisseur die alten und die neuen Verhältnisse vor Augen.Und der verkorkste, verletzliche und emotionalisierteChe merkt, dass er erwachsen wird, wie sich Dingeentwickeln, was mit seinem Land passiert.Er denkt über Veränderungen nach, spürt das, was in ihm aufzukeimen beginnt: das revolutionäre Denken, die Selbstfindung und der unstillbare Drang, das Banner der Revolution zu hissen.

Die Episoden auf diesem Weg sind heftig und krass.Sie werden aus einer Stadt gejagt, finden keinen Schlafplatz, das Motorrad geht kaputt. Während sie aufdie Reparatur warten, wird GUEVARA zu einer kranken Fraugerufen, der er seine Medikamente überlässt.So geht es weiter: kranke Menschen, ausgehungerte und ausgemergelte Gestalten treten ihnen entgegen.Sie stoßen auch auf Menschen, die hilfsbereit sind, die ihnen Unterkunft anbieten, die mit ihnen Mahlzeiten teilen und die Herzenswärme besitzen. Wie der Lepra Arzt Hugo Pesce in Peru.GUEVARA, der immer an Asthmaanfällen leidete, stirbtfast bei der Fahrt zu einer Insel, wo Lepra-Kranke leben.Schmerz und Schicksal, Verstörung, Mut und Schicksalhaftigkeit scheinen sich hier die Hand zu geben.Er schien sehr frustriert, gewann jedoch die Einsicht,wie er später notierte, dass die „ernsthaftesten und kampfbereitesten Leute auf unserer Seite stehen werden,auch wenn sie mehr oder minder schwere Gewissenskrisen durchmachen müssen". (Eintrag vom 30. Januar 1967).

„Die Reise des jungen Che" ist kein Routine-Erzeugnis.Der Film ist Kunst auf hohem Niveau. Er steht zwischen Tradition und Modernisierung, zwischen einem künstlerisch-anspruchsvollem Experimentalfilm und dem uns bekannten US-Independent Kino.Die Metaphern sind einfach, der Trend zu einem halb-dokumentarischen Film ist nicht von der Hand zu weisen, das Rohmaterial lebt vielleicht von filmischen Vorbildern. In der Tiefe des Films ist die Story doch ein wenig zu sehr inszeniert.Wenn Che zu Lepra-Kranken schwimmt und nur mit letzter Kraft das rettende Ufer erreicht, dann ist man zu verliebt in diese Szenen.Dass er über existenzielle Fragen beginnt nachzudenken,ist ein langer Prozess gewesen.So auch die Dynamik der Agitation, die nicht so ohne weiteres aus dem hohlen Bauch heraus entstand.Wenn er gegen die soziale Ungerechtigkeit zu wettern beginnt, dann nimmt man das stillschweigend hin.Womöglich auch den Prozess seiner Selbstfindung, seiner (Selbst-)Erkenntnis; denn Heilung, Rebellion und gutesLeben lässt sich selbst im Film nicht so einfach unter einen Hut bringen.Wie man allerdings filmisch den Übergang zu schaffen vermag, um GUEVARA in die Kampfarena zu katapultieren, das wird niemand so recht beantworten können.Vielleicht hilft eine Tagebucheintragung weiter?„Ich spüre, ich bin nicht mehr derselbe" notiert am Endeseiner Reise in Venezuela.

Die als Globalisierung bezeichnete Bewegung des kapitalistischen Systems ist unaufhaltsam.Das blieb ihm in seinen Jugendjahren verschlossen. In dieserBewegung des Kapitals hatte Che jedoch seine unstrittige Bedeutung.Er fand nicht den Weg heraus aus der „selbstverschuldetenUnmündigkeit". (KANT).Erst später wird aus seinen Aufzeichnungen klar, dass sie ihn lähmte und hinderte.So hat man gewisse Schwierigkeiten mit dem Film, der Kenntnisse über GUEVARA voraussetzt, die jede/r andersinterpretieren mag. Das muss konzediert werden.„Die Reise des jungen Che", als Road-Movie gehandelt,sucht die Verbindung und Kontakt zu den ständigen Problemen des Lebens.War dieses junge Leben eine außerordentliche Bewährungsprobe für den späteren Revolutionär?Der Zuschauer mag selbst entscheiden.

Fazit: Die Geschichte ist mutig, gut, zeitlos, nicht plakativ. Sie reißt mit, ist lehrreich und verlangt ein tieferes Eindringen in die Fragen, die ihn berührten.Der Film ist Herausforderung. Er ist ein StückWirklichkeit und bestens dazu geeignet, die Empfindlichkeiten des späteren Guerilleros zu begreifen. Die poetischen Bilder reißen mit.Berauschend und leidenschaftlich ruft er seine immer wieder kehrende Botschaft heraus:

Venceremos!

 

 

ARLINGTON ROAD

 

TERROR IM ZWIELICHT

 

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 6. NOVERMBER 2004.

 

 

Der Historiker Michael Faraday (JEFF BRIDGES), der am

College Geschichtsvorlesungen über den politischen

Terrorismus hält, leidet unter dem Verlust seiner Frau, die

als Polizistin während eines FBI-Einsatzes gegen Terroristen

im Dienst getötet wurde.

Mehr durch Zufall rettet er auf einer Anliegerstraße vor

seinem Haus ein dort entlangtaumelndes Kind.

Das taumelnde Kind, Blut und die vertrackte Situation,

in die er sich hineinversetzt sieht, erinnert an den Verlust

seiner Frau. Und die Traumata brechen erneut hervor.

Das Kind, um das er sich kümmert, ins Krankenhaus bringt,

ist der Sohn seines neuen Nachbarn, der Langs.

Es stellt sich heraus, dass ein selbstgebastelter Sprengsatz

die Ursache für die Verletzung war.

Michael ahnt hier noch nicht, dass dies ein vorgeschobener

Grund für die Kontaktaufnahme der Langs mit ihm ist.

Diese scheinbare Tragödie hat auch eine vielleicht unverhoffte

gute Seite. Die Langs erweitern seinen Freundeskreis.

Grant Faraday (Spencer Treat CLARK) und sein Vater

fühlen sich mehr und mehr zu Brady Lang (Mason GAMBLE)

und Oliver Lang (Tim ROBBINS) hingezogen.

Vor allem Sohn Grant fühlt nun die Geborgenheit, Wärme und

Zuvorkommenheit, die er hat in der letzten Zeit vermissen

müssen.

Irgendwann beginnt Michael misstrauisch zu werden.

Es keimt ein schrecklicher Verdacht. Er hält die Langs für

gesuchte Terroristen, die ihre bürgerliche Fassade nur dazu

benutzen, um Terroranschläge zu planen.

Michael beginnt nachzuforschen. Er entdeckt Ungereimtheiten

in Olivers Vergangenheit, beginnt an seiner Integrität zu zweifeln,

und gewinnt durch seine Nachforschungen die sichere

Erkenntnis, dass die reale Bedrohung von den Langs und ihr

bereits aufgebautes Netzwerk ausgeht.

 

Michael Faraday, der seine Studenten über die politischen

Hintergründe des Terrorismus aufklärt, weiß nur zu gut.

dass ihr Handeln nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten

abläuft, und dass Befürchtungen Wirklichkeiten werden

können.

Dazu geben ihm drei abscheuliche Taten Hinweise.

Zum einen war das der Anschlag auf das WTC vom

26. Februar 1993, als im Keller des Gebäudes eine Bombe

gezündet wurde, zum anderen die Anschläge am

19. April 1995, als Timothy McVEIGH ein Bundesgebäude

in Oklahoma City in die Luft sprengte, bei dem 168 Menschen

starben, und der Anschlag der Aum-Sekte vom 20. März 1995,

die Nervengas freigesetzt hatte und bei dem es 12 Tote

und mehr als 5.000 Verletzte gab.

Diese Ereignisse und seine mehr als deutlichen Hinweise,

dass in naher Zukunft die Welt sich diesen Gefahren gegenüber

sieht, deren Ausmaß man sich noch kaum vorstellen kann,

geben Anlass, den Film mit seiner Tiefenwirkung als Dokument

der wachsenden Verletzlichkeit der Gesellschaft zu begreifen.

Die destruktiven Potentiale von modernen Waffen

(Massenvernichtungsmittel) und die Welle des Fanatismus

religiöser, fundamentalistischer und nationalistischer Gruppen,

die den Globus mit Terrorakten überziehen, zeigen,

dass erstmalig in der Geschichte der Menschheit ein Kleinkrieg

mit ungeheuren Schäden möglich ist (atomar, biologisch und

chemisch).

Der Terror im 21. Jahrhundert ist dabei, zu einer

Hauptgefahr für die Menschheit zu werden.

Es ist auch der Umgang mit der Sorglosigkeit, der angeblichen

Rechtschaffenheit dieser ‚Schläfer’, die im verborgenen

Terrain agieren, darauf warten, bis ihre Stunde gekommen ist,

die zum nachdenken anregen sollte.

Denn der nächste größte terroristische Anschlag mit

Massenvernichtungsmitteln könnte irgendwann Wirklichkeit

werden, wenn nicht der Gefahr begegnet wird.

Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Welt

wiederum durch eine heimtückische Aktion in den Abgrund

gerissen wird. Es kann möglich sein, Tausende

(siehe 11. September 2001), gar Hunderttausende zu töten.

Und von den Folgen einer sich anschließenden Panik

mag man gar nicht reden wollen.

Die Möglichkeiten, den stattfindenden und möglichen

Anschlägen zu begegnen, erscheint als Gebot der Stunde.

 

„Arlington Road“ steht mit beiden Beinen in diesen

aufgeworfenen Fragen. Der Film steht in der terroristischen

Gewalt und seinen Varianten.

Man erlebt die Herausbildung einer Keimzelle, die sich

schnell als Verschachtelung (anwerben von Jugendlichen,

ideologische Infiltration, Morde) erweist, und die in ihrer

politischen Zielsetzung deutliche ist (Statements

von Oliver Lang: latente Unzufriedenheit mit dem System).

Der selbstmörderische Impuls bekommt durch die immer

radikaleren Methoden der Langs einen außerordentliche

aktuellen Bezug; denn niemand kann sich heute sicher

sein, wer sich hinter der bürgerlichen Fassade verbirgt.

Das muss auch Michaels Freundin Brooke (Hope DAVIS)

erfahren, die anfangs noch misstrauisch ihm gegenüber

ist und später von den Terroristen ermordet wird.

 

Idyllische Fassade und Doppelleben, Paranoia und

Fanatismus: in „Arlington Road“ werden diese Fragen bis

zum Ende problematisiert.

Vielschichtig und intelligent in Szene gesetzt, zeigt der

Film die Möglichkeit auf, wer die Terroristen von heute,

und wer sie von morgen sind, von welchen Motiven sie

geleitet sein können und welcher Waffen sie sich bedienen.

Der umfassende Einblick in den jüngsten Terrorismus,

bietet zudem einen Geschichtskurs, der von vornherein

nicht unbedingt mit Schuldzuweisungen hantiert, sondern

der sachlich informiert.

Mark PELLINGTON („Lange Wege der Leidenschaft“, 1997,

„Tödliche Visionen“, 2001) strickt mit leidenschaftlichem

Eifer an einem Film, der mit vielen subversiven Untertönen

sich engagierend in Szene zu setzen vermag.

Schnell mag man sich mit Michael solidarisch erklären. Er

ahnt das, was er nicht verhindern kann und man tappt

am Ende in die Falle der Terroristen.

 

„Arlington Road“ ist natürlich ein Hollywood-Thriller, der

alle Facetten dieses Genres genüsslich ausschöpft, der

die Fäden zieht.

Die Rezension über diesen Film würde auch deutlich

machen können, dass die heile Welt im Nu zerplatzen kann.

Die anfängliche Ungewissheit kann zur Gewissheit

werden. Alles ist möglich und sicher ist nichts.

Wie in „Der unsichtbare Aufstand“ (Regie:

Constantin COSTA-GAVRAS, 1972) wird am Ende des Films

die Rekrutierung neuer (jungendlichere) Akteure gezeigt.

Das ist schlussendlich ein deutlicher Hinweis darauf, dass

dem Megaterrorismus die Luft zum atmen genommen werden

muss.

 

Fazit: Einer der besten Filme über die Thematik des

Terrorismus in der jüngsten Zeit, wenn auch patriotisch

aufgelöst.

Tim Robbins und Jeff Bridges spielen phänomenal

gut.

 

 

 

 

 

A CLOCKWORK ORANGE

DIE SPIRALE DES VERBRECHENS

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 2. OKTOBER 2004.

„A Clockwork Orange" (1971) von Stanley KUBRICKist trotz der massiven Gewaltdarstellungen zu einem der wenigen Klassiker geworden, dem es gelang,die Widersprüche unserer Zeit komplex darzustellen.Der Film enthält alle Themen, die sich bis heute in der Moderne kaum verändert haben dürften: Anspielungen auf Musik- und Drogenkult, psychedelische Exaltation,Sex und Gewalt, das Versagen der staatlichen Institutionen bei Aggression und Verbrechen, wachsende Kriminalität, humaner Strafvollzug. Themen, die an Aktualität nichts verloren haben.

Die Ironie des Films, seine Umsetzung durch KUBRICKin eine handwerklich perfekte Inszenierung, die wie im Theater in Akten abläuft, ist perfekt, sprachlich und musikalisch auf dem Höhepunkt der Zeit, Gags sind mit Reserviertheit gestreut, die Kontraste sind säuberlich gewählt. Der Film ist vielleicht das Beste,was bisher an Literaturadaption gegeben hat.„A Clockwork Orange" basiert auf Anthony BURGESS gleichnamigem Roman aus dem Jahre 1962.Buch und Film lassen sich ungefähr so zusammenfassen:der Jüngling Alex De Large (gespielt von Malcolm McDOWELL)lebt mit seinen Eltern im Häuserblock irgendeiner englischer Großstadt (vermutlich in einem Vorort von London).Bereits straffällig geworden, wird er von Pädagogen betreut,offensichtlich aber eher observiert.Sein Dasein ist das eines frustrierten Schülers, der nicht weiß, was er mit seiner Freizeit anfangen soll.Sein einziger Fluchtpunkt, der ihm hilft, dem tristen Alltag en Rücken zu kehren, ist seine Musikanlage.Auf dieser spielt er meist klassische Musik.Nächtens unternimmt er mit seiner Bande Raubüberfälle.Hier lebt er seine Lust aus.

Der Film hat mehrere Ebenen. In der ersten treffen sich die ‚Droogs’ in der Koroba Milchbar und bringen sich mit berauschenden Getränken in Stimmung.Später brechen sie zu ihren Streifzügen auf.Sie verprügeln einen Clochard, schlagen eine Konkurrenzbande mit Baseballschlägern krankenhausreif,klauen ein Auto und dringen in das Haus eines Schriftstellerehepaares ein. Dort vergewaltigen sie die Frau und treten und schlagen den Mann fast zu Tode.Mit ihren Masken entkommen sie unerkannt.Alex hört in dieser Nacht die neunte Symphonie von BEETHOVEN. Tags drauf wird er von seiner Gang verraten und von der Polizei gefasst.

Die zweite Ebene zeigt Konsequenzen auf.Die Frau stirbt an den Folgen des Überfalls.Alex wird als Mörder verurteilt und in eine Vollzugsanstalt eingewiesen.Dort passt er sich mehr und mehr den sadistischen Verhältnissen an. Die Gefängnisleitung geht irgendwanndavon aus, dass er therapiert werden kann.Schließlich wird er medimenkatös und mit Psychopharmaka behandelt, um entlassen zu werden.So will auch der Innenminister die Überfüllung von Gefängnissen lösen.Diese ‚Ludovico Therapie’ (u. a. werden Filmszenen von Folterungen, Hinrichtungen und Vergewaltigungen gezeigt) erreicht bei Alex, dass Sex und Gewalt, Gewalt und Sex sowie Sadismus heftige körperliche Schmerzen, jaein destabilisierendes Gefühl auslösen.

In der dritten Ebene erlebt man seine Läuterung.Alex wird als ‚geheilt’ entlassen.Einen Bezug zur gesellschaftlichen Realität hat er nicht mehr.Er lebt auf der Straße.Dort trifft er auch auf seine früheren Opfer, die auf ihre Weise Rache an ihm nehmen.Da Alex durch die Therapie nicht mehr zur Gewalt neigt,wehrt er sich nicht.Er begegnet dem Clochard, den ehemaligen Bandenfreunden,dem Schriftsteller, den er mehr aus Versehen um Hilfe bittet.Er treibt Alex durch klassische Musik in den Wahnsinn.Schließlich springt er aus dem Fenster und wacht erstwieder im Krankenhaus auf.Das Personal soll ihn kurieren. Die Regierung versprichtihm einen Job und hat seine völlige Wiederherstellungbeschlossen.Allerdings nur unter der Voraussetzung dass er kollaboriert.

Der Film endet mit der Zusammenfassung dieser drei Ebenen.Die Lebensgeschichte von Alex erscheint in einem Bild, Allegorie oder Wunschtraum verklärt.Alex findet sich koitierend mit einer nackten Frau wieder.Die künstlichen Nebelschwaden zeigen diese Farce an.Die viktorianisch gekleidete Gesellschaft muntert ihn auf und applaudiert. Die Rehabilitierung seines Geistes, vor allem seiner Triebe scheint erreicht.Dem Aufstieg in vornehme Kreise steht nichts mehr im Wege.Neben den vielen Deutungsmöglichkeiten des Films,die z. B. Kostüm, Dekor betreffen, Maske,Choreographie, Erzähltempo, Kameraperspektive,Erzählperspektive und Grundstruktur der Handlung,die wiederum in unzählige Rezensionen einmündeten,soll hier versucht werden, „A Clockwork Orange" als universelle Entfremdung und geschichtlich zeittypische Wirkung des Widerwärtigen und Subversiven zu begreifen.Dass Verlust, Verunsicherung und Schmerz ein Teil des Lebens ist und ein Ursprung unserer Kultur, braucht nicht besonders aus dem Film herausgelesen werden.Denn seine Projektionsfläche beinhaltet alles, was die moderne Zivilisation geprägt hat. Das ist der eigentliche Sog der emotionalen Wirkung des Films. Indem er auf die Bedeutung der Gefühle insistiert, durchläuft er dievöllige Unterwerfung unter das Prinzip der Beherrschbarkeit und verzahnt ein eindimensionalesVerständnis des Menschen, dem er sich auch widersetzt.

Wer ist Alex?

Die anfängliche Postkartenidylle wird schnell durch sein forciertes kriminelle Handeln ins Gegenteil verkehrt.Und der Mythos vom kleinen Glück (Musikanlage) zerplatz jäh.Denn der vielleicht mittelständische Homo technicus Alex muss seine Zivilisationsschäden entsorgen.Dabei geht er rabiat vor. Und das kann er nur durch seine Art der Lösung der Problematiken der technisierten Industriegesellschaft.Ein alternatives Wertesystem baut KUBRICK nicht auf. Es hatte im 20. Jahrhundert genauso wenig Chancen wie heute, im 21. Jahrhundert.Allerdings bestand die Chance zur nachhaltigen gesellschaftspolitischen Veränderung, die nicht oder äußerst unzureichend wahrgenommen wurde.Alex steht auch nicht für ein solches.Doch ist die Spannung zwischen Tradition und Neuorientierung in gewisser Weise ständiges Begleitelement des Films.

Alex, der durch die Gegenwart dazu gezwungen wird, kriminell zu werden, entwickelt im Verlauf seinergroßen Verweigerung eine infantile Abwehrstrategie gegenüber Autoritäten oder autoritätshörigen Persönlichkeiten.Das Schriftstellerehepaar ist stellvertretend der Schuldige für die Generation, die Erfahrung und Weisheit vorzeigen könnte.Der Autoritätenzwang und das Aufbegehren dagegen ist sicherlich kaum als kulturpessimistische Satire zu deuten; denn dafür ist der Film viel zu ernst.Und die laufenden verfremdenden Perspektivwechsel sind so zusammengesetzt, dass sie eher eine befremdliche Identität suggerieren und zum Ausdruck bringen.

Das sehenswerte Spiel, das Alex und seine Kumpanen treiben, ist gegen die moralische Überheblichkeit der Gesellschaft des autoritären Zwangs gerichtet.Insofern abstoßend, voll von Ablehnung, die die Selbstsicherheit des gut erzogenen Subjekts permanent erschüttern muss.Das Gewaltmonopol des Staates bringt tägliche offene und versteckte Gewalt hervor, die tendenziell KUBRICK zu beschreiben versucht.Auffällig ist dabei, dass die stets wiederkehrenden Verfremdungen hier in eine reinste Dialektik einmünden:Das, was sichtbar gemacht werden soll, bleibt unsichtbar. Das, was unsichtbar bleiben soll, wird sichtbar Gemacht. Das aufdringliche Gewaltspiel gibt so einen Detailblick frei auf das Potential, welches in uns schlummert und geweckt werden kann.Der Aggressionstrieb, erst einmal an die Oberfläche gespült, kann zum Fluch und ekstatischer Rausch werden.

Die Mordtat lässt sich nicht abwaschen, weder bei Alex noch im realen Leben.Wir sind der Trockenheit der Herzens und unseren Fehlern ausgeliefert.Wir sind Gauner, Verräter und bösartig. Wenn die Opfer nicht tot sind, werden sie mundtot gemacht. Wir sindBefehliger und Bedienstete. Wir werden zu Tränen gerührt und sind uns doch vollkommen gleichgültiggegenüber Alle Menschen sind voll von falschen überlieferten und auf den Kopf gestellten Erinnerungen, dem Vergessen von Verbrechen, dem Verleugnen von Niederlagen.Die Menschen sind Auguren des Vergessens.Nicht nur weil die Erinnerung versagt, sondern weil Aggressionen unser Erbteil sind, und wir nach Kämpfen in unserer unmittelbaren Umgebung, die unser Hasspotential entleeren, langsam wieder zur alten Blüte heranwachsen, bis wir wieder Aggressionen und Unbeherrschtheiten benötigen.Weil der Mensch den Hass, den er kriminell nicht ausleben darf, in einem kollektiven Entleerungsprozess namens Aggression verschütten muss. Und weil auf sie die Läuterung folgt.Ob KUBRICK diese Sichtweise durch Alex favorisieren wollte?

Diese möglichen wiederkehrenden Bilder treten

ad hoc durch die Stiefel von Alex und seiner Gang hervor.Der kriminelle Gau kommt aus dem Nichts hervor.Die verheerenden Ergebnisse dieses repressiven Bewusstseins erleben auch wir regelmäßig. Die Wohlstandsgesellschaft scheitert selbst am selbigen Widerspruch, den Alex in sich trägt. Als exemplarische Konfliktfigur wird er zum Kulturverhängnis. Diese hat es nicht gelernt, eine Gesellschaft für alle zu konstituieren.So schlittert Alex in einem Kulturschub in die gewalttätigeEntwicklung hinein, die als urbanes Zentrum fortan sein Leben bestimmt.

Der Film kann nicht erklären, wie Gewalt entsteht,welche individuelle und gesellschaftspolitische Bereitschaftbeim Individuum dafür vorhanden sein muss, um in ihr aufzugehen, um sich ihr zu unterwerfen, um ein Leben mit ihr zu gestalten. Vielleicht interessiert er sich auch nicht dafür! Streng am Film interpretiert, würde sie aus falschen pädagogischen Lehren bestehen, die Schuldabwehr und Angstabwehr repressiv umleiten, sie nahezu restaurieren.Der Ansatz wäre eine Kritik an Autoritätsfiguren und ihrer oftmals gewalttätigen Ideologien (im Film: uniformierte Obrigkeit, Gefängnisdirektor, Innenministerium).Mit engstirniger Autoritätsgläubigkeit gepaart wäre das durchaus Produkt gesellschaftlicher Realität.

Natürlich ist das Drama um Alex keine Aufforderung dazu,es ihm gleichzutun, ihm nachzueifern- um sich dann später bekehren zu lassen.Hier käme es lediglich darauf an, zu interpretieren.Die Schuld- und Sühne Theorie ist auch viel zu komplex, um sie hier anzuwenden oder generell verwirklicht zu sehen.KUBRICK hatte sich möglicherweise mit „A Clockwork Orange"viel zu tief in die Urbeziehung dieser Frage verstrickt, wonach der Mensch nach DARWIN von Anfang an (evolutionsgeschichtlich bedingt) zur Gewalt neigt.Und über aggressives Artenverhalten sich in der Kombination von Sex und Gewalt, von Gewalt und Sex am Leben erhält.

Einzuwenden wäre, dass jedoch KUBRICK, in der Tradition des alten viktorianischen Dramas stehend das Thema von der Kraft der bösen Lust hier aufgreift.Die ‚gereinigte’ Thematik wäre dann die Läuterung von Alex.Ob dem so ist, oder sein könnte, müsste in eine generelle Beschäftigung mit BURGESS und in eine fast übermenschliche Anstrengung eines gnadenlosen literarischen Bewältigungsversuch bestehen.Thomas KUCHENBUCH meinte hierzu:

„Tatsächlich lässt es die Fabelkonstruktion des Romans nach dem Muster des dialektischen Umschlags objektiver dramatischer Ironie zu, dass die in gewisser Weise aufgestülpte Intellektuellenproblematik des Autors Burgess mühelos hinter der pointierten HandlungskulisseVon Kubrick zum Verschwinden gebracht wird."(vgl.: „Fischer Filmgeschichte", Bd. 4 (1961-1976),Frankfurt/M. 1992).

Die Bekehrung von Alex wäre eine „individualdramatische Widerspiegelung seiner bohrenden Masochistisch-Sadistischen umschlagenden Selbstzweifelexzesse"(ebd.).Doch ist seine Bekehrung nicht vielmehr das Ergebnis zweier konträrer Lebensphilosophien?Seine Heimkehr in den Schoss des Staates resultiert entweder aus den politischen Missständen und den Widersprüchen, oder aus der produktiven Realisierung, sich nämlich mit dem Geldfetisch, dem sozialen Aufstieg und der Konsumkultur zu arrangieren.Die subversive Kritik am Etablierten und dem Autoritätsgehorsam wäre nun mitnichten hinfällig.Die Selbstaufgabe, die Selbstentblößung und die zerstörerische Selbstreflexion kann im klerikalen Sinne als ‚Buße’ verstanden werden.KUBRICK ist hier schwer zu fassen. Er ist wie David LYNCH zu erforschen.Die vernachlässigte Jugend, die heute fast in jedem Gerichtsdrama als strafmildern postuliert wird,muss zumindest in die Kritik genommen werden.Einfache Werte zu artikulieren, kann nicht durch Revolte Unterprivilegierter rückgängig gemachtwerden.Da Alex dafür steht, kann auch nicht Schluss gemacht werden mit Pädagogik und Erziehung.Allerdings wären deren Methoden anders zu gewichten.Wenn das Erziehungssystem laufend nur unfreie Menschen gebiert, Kindern, Schülern und Jugendlichen das Selbstbestimmungsrecht aus den Händen schlägt,dann darf sich kein Staat wunden, wenn ein „kleines bisschen Horrorshow" („Die Toten Hosen") ausgelebt wird.

Fazit:

Die tiefe Unsicherheit, die der Film hinterlässt,macht betroffen. Was die Legitimität der strafenden Gewalten betrifft, so gibt es keine Verlässlichkeit der staatlichen Instanzen ihr gegenüber.Dem tradierten Normensystem kann nicht wie beiAlex durch Verinnerlichung begegnet werden. Der etablierten Kleinbürgermoral, die Alex letztendlich aufliest, muss aber auch eine klare Absage erteiltwerden.Auch dem staatstragenden Element gegenüber,dass auf die Jugend setzt, sie aber doch reglementiert.

 

 

film

Kalter Krieger

Amerika missbraucht seine Macht: Errol Morris’ Film »The Fog of War« dokumentiert die Lebensbeichte des US-Verteidigungsministers Robert S. McNamara

Von Thomas Assheuer

In den sechziger Jahren war Robert S. McNamara vermutlich der meistgehasste Politiker der westlichen Welt. Keiner galt als so skrupellos wie der amerikanische Verteidigungsminister. »IBM-Computer auf zwei Beinen« nannte man ihn, einen Technokraten des Krieges. Wo andere ein moralisches Gefühl besäßen, sei bei McNamara eine Zielscheibe, und die Welt bestehe für ihn nicht aus Menschen, sondern aus Zahlenkolonnen. Seine Spezialität: der Bombenteppich und die Zerstörung der Fläche.

McNamara, so hatte es den Anschein, war der treue Diener seiner Herren. In seine Amtszeit fielen die Kuba-Krise und der Vietnamkrieg, der 3,4 Millionen Vietnamesen und über 58000 Amerikaner das Leben kostete. Im März 1965 befahl er die Operation Rolling Thunder, später den Einsatz von Napalm und von Entlaubungsmitteln. Doch plötzlich, Ende 1967, schied das whiz kid, das intellektuelle Wunderkind, überraschend aus dem Amt. McNamara wurde Präsident der Weltbank und organisierte Feldzüge gegen Elend und Hochrüstung. Der Architekt des Vietnamkrieges verwandelte sich in einen Nato-Kritiker und einen Anwalt der Armen.

Wenn jemand vom Saulus zum Paulus wird, wenn der zweitmächtigste Mann der US-Administration Rechenschaft ablegt, dann ist das ein ergiebiger Stoff, nicht nur für ein Buch. Der amerikanische Dokumentarfilmer Errol Morris hat den 85-jährigen McNamara um Auskunft gebeten und seine Antworten mit historischem Material unterfüttert, darunter Telefonmitschnitte aus dem Weißen Haus, die erst vor kurzem freigegeben worden waren. Gelungen ist ihm mit The Fog of War ein ungewöhnlich diskreter und ungemein spannender Dokumentarfilm über den »Nebel« des Krieges – eine Kritik an westlicher Machtpolitik und ihrem politisch Imaginären, die kein anderer so wirkungsvoll hätte vorbringen können wie Robert McNamara selbst.

Wie übermächtig Denkmuster und Weltbilder sind, wie sehr sich Politiker von ihnen verhexen lassen, zeigte schon die Kuba-Krise. Damals stand die Welt am Abgrund eines atomaren Konflikts, und nur ein Irrwitz hat sie gerettet. Der russische Präsident Chruschtschow hatte nämlich zwei Botschaften geschickt, die sich diametral widersprachen. Die eine klang friedfertig wie lyrische Prosa, und alle glaubten, ihr Verfasser sei mal wieder betrunken gewesen. Die zweite Botschaft hingegen war kein wodkaseliger Schalmeienklang, sondern nukleare Erpressung. Niemand wusste, was Chruschtschow wirklich wollte. Krieg oder Frieden? Die US-Militärs drängten darauf, nur die zweite Botschaft ernst zu nehmen, entsprach sie doch ihrem eigenen Denken, ihrer inneren Logik. General Curtis E. LeMay wollte die Gunst der Stunde nutzen und die Sowjetunion in Grund und Boden bomben. Und sogar Kennedy plädierte, anders als der Film Thirteen Days weismachen will, für eine militärische Lösung.

So wie Morris Interview und O-Ton arrangiert, muss man sagen: Chruchtschows paradoxe Botschaft hat das Blatt gewendet. Nicht weil er ein guter Mensch war, sondern weil er die Unentscheidbarkeit der Lage auf die Spitze trieb. Dadurch bekam McNamara Spielraum, um von den militärischen Denkmustern Abstand zu nehmen. Er konnte sich in den Gegner hineinversetzen, ihn abtasten und am Ende eine Lösung vorschlagen, bei der alle das Gesicht wahrten.

Auch vor dem Vietnamkrieg gab es eine »Deutungslücke«, einen langen Moment von Unentscheidbarkeit und Zweifel. War das US-Schiff Maddox im Golf von Tonkin wirklich angegriffen worden? Hatten die Matrosen Torpedos geortet – oder nur tote Fische? Doch diesmal obsiegten die Denkmuster des Kalten Krieges über die Erforschung des Gegners. Die gesamte Administration glaubte damals an die Dominotheorie, wonach Vietnam gehalten werden müsse, damit die asiatischen Länder nicht reihenweise »umfallen«. McNamaras Rolle ist widersprüchlich. Mal war er Scharfmacher, dann wieder drängte er auf Deeskalation. Als er, wie schon unter Kennedy, vorschlägt, die Truppen zurückzuziehen, kanzelt ihn Lyndon B. Johnson ab wie einen Schuljungen.

Folgt man Morris in das Labyrinth seines Oscar-gekrönten Films, dann lautet seine Botschaft, das Gefährlichste an der Politik sei das eigene Weltbild, der Terror der Vorstellung. »Wir sahen, was wir glauben wollten«, sagt auch McNamara, »aber wir irrten uns. Unsere Denkmuster führten dazu, mit unglaublichen Kosten.«

DIE INNERE SICHERHEIT

 

DEM TERRORISMUS NICHT AUF DER SPUR

 

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 24. JULI 2004.

 

Die RAF (Rote Armee Fraktion) ist zu einem Mythos geworden,

zu einem Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Ohne Zweifel gehört die politische, und wenn man so will,

ideologische Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus

zur Vergangenheitsbewältigung, aber auch zur Gegenwartbewältigung;

denn  der international operierende Terrorismus, der zwar heute mit

eine anderen Zielsetzung antritt, und nicht von wenigen

als islamischer Terrorismus bezeichnet wird, ist dabei, aus der

neuen Weltkrise Kapital zu schlagen, um sich als Gewinnersegment

des Weltmarktes auf Dauer einzurichten und global Leben und

Unversehrtheit zu bedrohen.

 

Gewiss, es fehlte seit dem 2. April 1968 (dem Beginn des

RAF-Terrorismus), als Andreas BAADER, Gudrun ENSSLIN

und andere, zwei Kaufhäuser in Frankfurt/M. in Brand

steckten, nie an publizistischem Fleiß, die damaligen

Ereignisse zu deuten, auszuleuchten und sie später als eine

Art Zweikampf zwischen Staat und Terrorismus zu

interpretieren.

Auch als sich Ulrike MEINHOF, die Hamburger „konkret“

Journalistin im Mai 1970 aktiv dieser Gruppe anschließt,

um sich an der Befreiung von BAADER zu beteiligen,

der in der Zwischenzeit verhaftet worden war und die ersten

Schüsse fielen, brechen die verdrängten Erinnerungen

auf, lösen viel Interesse aus, Neugier und Emotionen,

die immer wieder in Versuche einmünden, dem

RAF-Phänomen auf die Spur zu kommen.

 

Die RAF der ersten Generation, in den Untergrund gehend,

verübte als „Rote Armee Fraktion“ Sprengstoffanschläge

auf US-Militärstützpunkte in Deutschland, bewaffnete

Banküberfälle, Entführungen, Morde.

Ihre Spur wurde immer blutiger: erst 1970, dann 1972.

Der Höhepunkt bildete das Jahr 1977.

Am 5. September dieses Jahres wurde der Arbeitgeberpräsident

Hans Martin SCHLEYER in Köln entführt, seine Begleiter

kaltblütig ermordet.

Das „Konzept Stadtguerilla“ ging davon aus, dass es möglich

sei, durch eine solche Tat (vgl. LORENZ Entführung)

Gesinnungsgenossen frei zu pressen.

Eine Flugzeugentführung durch ein palästinensisches

Kommando (13. Oktober 1977) unterstütze diese Erpressung,

die von einem GSG-9-Kommando des Bundesgrenzschutzes in

Mogadischu beendet wurde, die Geiseln befreit und die

Entführer getötet wurden (17. Oktober 1977).

Einen Tag später (18. Oktober 1977) fand man unter bis heute

ungeklärten Umständen BAADER, ENSSLIN und RASPE, die

in Stuttgart-Stammheim in Isolationshaft einsaßen, tot in

ihren Zellen.

Am 19. Oktober wurde der entführte SCHLEYER ermordet in

einem Kofferraum eines Autos in Mühlhausen aufgefunden.

 

Als erster Film, der sich mit dieser Zeit beschäftigte und

auf die Parallelität jener terroristischen und tragischen

Ereignisse mit der allgemeinen zeitgenössischen

Protestbewegung gegen Rasterfahndung, diffamierende

Hetzkampagnen der Medien, eines Klimas, wo bereits

jemand, der die Berichterstattung kritisch unter die Lupe

nahm als (Links-)Radikaler oder als Sympathisant

des Terrorismus bezichtigt wurde, verband, erschien

im November 1978 „Deutschland im Herbst“.

Jener Film, der linke Kreise in ihrer Sichtweise bestätigte,

dass man sich dem Staat niemals beugen dürfe, und der

in bürgerlichen Kreisen eher mit Unverständnis

aufgenommen wurde, weil hier unterschwellig

versucht würde, zu agitieren und die Verhaltensweise

der RAF-Terroristen zu rechtfertigen.

Ob sich allerdings dieser Kompilationsfilm mit Beiträgen

von Rainer Werner FASSBINDER, Alexander KLUGE,

Volker SCHLÖNDORFF und anderen, hier irgendwo

einordnen lässt, muss unbeantwortet bleiben.

 

1981brachte Margarethe von TROTTA „Die bleierne Zeit“

in die Kinos.

Die fiktive Geschichte erzählte von zwei Schwestern,

Töchter eines evangelischen Pfarrers (vermutlich nach Vorlage

der Lebensgeschichte der ENSSLIN-Schwestern), die sich

politisch engagieren.

Während die eine den Weg der kleinen Schritte geht, taucht die

andere in den Untergrund ab.

Als die jüngere Schwester im Gefängnis stirbt, versucht die andere,

die Umstände ihres Todes zu ergründen.

Der Film war eine Mischung aus Melodrama, politisch-theoretischer

Planspielerei, der zudem versuchte, an Hand einer völlig

subjektivistisch überzogenen Schwesternbeziehung die Problematik

des politischen Widerstandes zu behandeln.

Dem Film warf man Parteilichkeit vor, da die andere Seite

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